Familie Sterneck

Rede von Peter Sanders, vorgetragen von Jenny Nash, den Enkeln von Margarethe und Berthold Sterneck

Guten Tag meine Damen und Herren, mein Name ist Jenny Nash. Mit meinem Bruder Peter Sanders und meiner Cousine Esta Sterneck sind wir die drei inzwischen noch verbliebenen EnkelInnen von Margarethe und Berthold Sterneck. Leider kann mein Bruder wegen einer Corona Erkrankung ausgerechnet heute nicht anwesend sein. Daher möchte ich seine Rede vorlesen.

Vielen Dank zunächst an alle, die am heutigen Programm teilgenommen haben, um das Leben unserer Großeltern und ihr Andenken zu würdigen. Besonders wollen wir uns bei der Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen für die Durchführung dieses für uns so wichtigen Projekts und vor allem bei Dr.Strnad für seine unendliche Geduld bedanken. Unzählige Emails und Zoomkonferenzen zwischen Frankfurt, München, Schottland und den USA waren nötig, und wir sind noch nicht fertig, die langen Biographien von Margarethe und Berthold Sterneck werden erst im Herbst auf der Website erscheinen.
Mit den Erinnerungszeichen wollen wir nicht nur das Andenken unserer Großeltern lebendig halten, sondern vor allem auch wider das Vergessen und Verleugnen wirken. Üble Versuche rechter demokratisch gewählter Parteien, die Nazivergangenheit Deutschlands zu verharmlosen, machen es notwendig, jede neue Generation zu informieren, was hier zwischen 1933 und 1945 geschehen ist. Kinder werden die Stelen auf ihrem Schulweg sehen und hoffentlich fragen, was sie bedeuten. Holocaustleugner gibt es noch immer. Auch das Märchen von „wir haben damals nichts mitbekommen“ muss man immer wieder hinterfragen und von Neuem entlarven. Warum durfte der beliebte Opernsänger Sterneck nicht mehr auftreten? Warum mussten die netten Nachbarn Margarethe und Berthold ihr schönes Haus in Pasing verkaufen? Warum ist die Witwe Sterneck plötzlich verschwunden? Das alles geschah doch in der Mitte der Gesellschaft.

Sie kennen inzwischen das Schicksal unserer Großeltern. Aber wie wirkte es sich auf die folgenden Generationen der Familie aus? Zurück ins Jahr 1933: Unsere Mutter Johanna Sterneck, genannt Hanni, lebt mit ihren Eltern und Bruder Kurt in einem schönen Einfamilienhaus mit Garten in Pasing. Ihr Vater ist nicht nur arrivierter Sänger an der Bayerischen Staatsoper, sondern auch vielgefragter Gastsänger im In- und Ausland. Er gibt Liederabende, tritt vor Arbeitervereinen auf und singt beim 25.Vereinsjubiläum des F.C. Bayern, dessen Mitglied er ist. Mutter Margarethe hat ihre Gesangskarriere mit Hannis Geburt beendet und kümmert sich um Haushalt und Kinder. Das Ehepaar Sterneck ist mit Karl Böhm, Hans Knappertsbusch und Richard Strauss befreundet. Für Letzteren ist Berthold Sterneck ein begehrter Skatpartner.
Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist unsere Mutter 9 Jahre alt. Sie erfährt nun in der Schule in Pasing Ausgrenzung und wird erstmals mit der Tatsache konfrontiert, dass sie jüdischer Herkunft ist. Als die Situation in der Schule unerträglich wird, erhält sie zu Hause Privatunterricht. Außerdem erlebt sie die öffentliche Erniedrigung von Juden, manche davon gute Freunde der Familie. Der vom Regime beabsichtigte gesellschaftliche und finanzielle Absturz der Juden nimmt unaufhaltsam seinen Lauf. 1936 erhält der Vater Berufsverbot. Ohne Einkommen, muss das Haus in Pasing 1938 – unter Marktpreis - verkauft werden. Sie ziehen in eine kleine Etagenwohnung in der Mechthildenstraße. Alle Bemühungen der Eltern, Arbeitsanstellungen in Großbritannien oder in den USA zu finden, schlagen fehl. 1939 gelingt es, für die nun 15jährige Hanni die rettende Emigration mit dem Kindertransport nach Großbritannien zu organisieren. Hier im jüdischen Museum ist ein Photo ihres Abschieds am Münchner Hauptbahnhof zu sehen.

Sie wird von einer Familie in Südengland aufgenommen, ihr gelingt der Schulabschluss in einer für sie fremden Sprache, sie muss als enemy alien die Südküste verlassen, schafft die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, tritt in die Frauenabteilung des britischen Heeres ein und lernt in dieser Zeit unseren Vater Herbert Steiner kennen, einen aus Wien emigrierten Juden und Soldaten in der britischen Armee. Erst 1946 erfährt sie vom Krebstod ihres Vaters, vom Untertauchen und dem anschließenden Selbstmord ihrer Mutter, und dass ihre Lieblingstante Regina in Theresienstadt ermordet wurde. Genauso ergeht es unserem Vater. Seine Eltern, Großmutter und Tante werden 1942 deportiert und ermordet.
Mutter schließt sich als Dolmetscherin der amerikanischen Armee in München an. So ist sie in der Nähe ihres Halbbruders Kurt und kann ihm durch ihren Zugang zu den US Army Geschäften Güter besorgen, die für Deutsche kaum erhältlich sind. 1948 heiraten unsere Eltern in London. Sie versuchen sich zu assimilieren und nicht als Ausländer aufzufallen. Aus diesem Grund wird zu Hause nicht Deutsch gesprochen, wir werden leider nicht zweisprachig erzogen. Trotzdem fallen wir durch unser dunkles Aussehen auf. Unsere Eltern hören Fragen wie: Seid Ihr Flüchtlinge vom spanischen Bürgerkrieg, oder vielleicht Zigeuner? 

Wir Kinder wachsen geborgen in einer glücklichen Familie auf, aber doch anders als unsere gleichaltrigen Freunde. Sehr früh stellen sich Fragen wie – warum ist die liebenswürdige englische Frau, die wir Grandma nennen, nicht die Mutter unserer Mutter, warum haben wir keine „richtigen“ Großeltern wie unsere Freunde, oder warum haben wir Verwandte, die Deutsch sprechen und deutsche Namen haben?  Heute im Nachhinein ist uns klar, dass diese Fragen unseren Eltern wahrscheinlich sehr bevorstanden. Gezwungenermaßen müssen sie uns von dem Schicksal unserer Großeltern erzählen, uns früh mit Themen wie Ungerechtigkeit, Massenmord und Selbstmord konfrontieren. Wir erleben plötzlich eine andere Emotionalität in ihren Antworten, einen anderen Gesichtsausdruck, einen anderen Tonfall. Man lernt sehr schnell, nicht zu weit zu bohren, weil die Antworten plötzlich verstummen. Gleichzeitig wächst in uns Kindern ein enormer Respekt für das, was die Eltern schon in jungen Jahren leisten mussten, um in einem fremden Land ganz auf sich alleine gestellt zurecht zu kommen. Uns alle plagt außerdem ein schlechtes Gewissen: Unsere Eltern - wie viele Ihrer Leidensgenossen – weil sie überlebt haben, ohne ihre Eltern retten zu können, uns Kinder, weil wir es so viel besser haben. Wie schwer muss es für sie gewesen sein, uns in unseren Teenagerjahren zu erziehen, wo sie selber solche Jahre nicht richtig erlebt haben. Trotz widriger Startbedingungen haben sie es geschafft, eine Familie zu gründen, ein Haus zu bauen, haben uns Kinder mit ihren vielseitigen Interessen inspiriert und sind mit uns viel gereist. Dafür sind wir sehr dankbar.

Im Urlaub auf dem Kontinent, spürte man die ganze Zeit eine Anspannung bei unserer Mutter. Bei jeder Begegnung stellte sich die Frage, was haben die alle während der Nazizeit gemacht? Ihr Unbehagen war berechtigt. Viele Übeltäter waren noch in Amt und Würden, ohne jemals gerichtlich belangt worden zu sein. Dann ziehe ich ausgerechnet nach Deutschland, um als professioneller Musiker zu arbeiten. Ich lerne eine deutsche Frau kennen - haben ihre Eltern mitgemacht?

Unsere Mutter ist mit 76 unerwartet früh gestorben, Vater mit 91. Die Zurückhaltung unserer Eltern beim Erzählen ihrer eigenen Geschichte hat dazu geführt, dass wir sehr wenig über ihre Herkunftsfamilien wussten. Erst nach ihrem Tod hatten wir den vollen Zugang zu ihren Dokumenten, vorher wäre es eine Indiskretion gewesen, nach Dingen zu fragen, die sie uns nicht freiwillig gezeigt hatten. Jetzt hätten wir natürlich so viel mehr Fragen, die aber unbeantwortet bleiben müssen. Umso wichtiger sind solche Projekte wie das Heutige.
Den Ball zum ersten Mal ins Rollen brachte die Ausstellung "Ins Licht gerückt“, von der Almuth David berichtet hat. Wir wollen hier auch kurz unserer lieben, inzwischen leider verstorbenen Cousine Margret Sterneck gedenken. Sie sammelte damals die Informationen für den Artikel von Herrn Möllmann, der die wichtigsten Fakten zum ersten Mal zusammenfasste. Wir sind der Geschichtswerkstatt dafür sehr dankbar. Die gemeinsame Forschung im Familienteam bringt uns unsere Großeltern, die wir leider nicht kennenlernen durften, immer wieder ein Stück näher.

Jetzt sage ich nicht last but not least, sondern last but most und bedanke mich herzlich bei Almuth David, die wir damals 2008 kennenlernten. Sie hat uns bei allen Familienprojekten seitdem als Teil des Teams unermüdlich und akribisch geholfen. Sie ist eine Fundgrube an Wissen und Informationen, kommt immer mit neuen Ideen, uns die Arbeit zu erleichtern. Es ging so weit, dass sie das dreidimensionale Erinnerungszeichen - bedruckt mit Text und Photos - aus Papier gebastelt und uns Photos davon per e-mail geschickt hat, um uns eine räumliche Vorstellung zu geben. Vor einem Jahr schlichen wir beide mit einem Zollstock bewaffnet um das Haus im Presselweg, um eine passende Stelle für die Stele zu finden. Also einen lieben Dank an Dich und Charlie, der alles von Anfang an begleitet hat.
Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Zuhören und übergebe das Wort an meine Cousine Esta Sterneck.

zur 3. Rede, von Esta Sterneck


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