27.01.2023 Holocaust-Gedenktag in Obermenzing

Erinnerung an Trina Kuttner

Rede von Almuth David

Wir erinnern heute an Trina Kuttner, geb. Kahn, die Ende Januar 1939, nicht weit von hier, in Obermenzing in einem Haus in der Villenkolonie II Zuflucht fand. Sie war aus Memmelsdorf in Unterfranken nach München gezogen, um der zunehmenden Juden-verfolgung in dem kleinen Dorf zu entgehen. Sie hatte wohl gehofft, in der Anonymität der Großstadt München sicherer zu sein.

1936 hatte Trinas Neffe, Simon Kahn, der mit Frau und Sohn in einer großen Etagen-wohnung am Gärtnerplatz in München wohnte, die heute denkmalgeschützte Villa in der Apfelallee gekauft, um sich hier mit Familie und Freunden an den Wochenenden zu erholen.

Schon bald wurde dieses Haus zum Zufluchtsort für mehrere Kahn-Verwandte aus Memmelsdorf und Mühlhausen, während sich Simon mit seiner Frau Martha und dem einzigen Kind, Erich, auf die Emigration nach New York vorbereitete. Noch nach Kriegsbeginn. im November 1939, konnten sie nach New York emigrieren.

Die sechs Verwandten, darunter zwei Kinder, die zeitweise in der Villa Unterschlupf gefunden hatten, überlebten nicht. Viele Verwandte von Trina waren schon früh, zum Teil bereits schon Ende des 19. Jahrhunderts, nach Amerika ausgewandert.

Ja, Trina selbst, 1860 geboren, war als 18-Jährige aus Memmelsdorf zu ihrer Schwester Minna nach New York gezogen, wo sie als Näherin in der Strickwaren-manufaktur ihres Schwagers in Manhattan arbeitete. 1887 hatte sie dort einen jüdischen Komponisten aus Texas geheiratet und viele Jahre in der Metropole gelebt, ehe sie nach Deutschland zurückkehrte, zunächst nach Berlin. Nach 1918 lebte sie bis zum Umzug nach München wieder in Memmelsdorf, um dem verwitweten Bruder, Selig Kahn, den Haushalt zu führen.

Jetzt, in der Einsamkeit und völlig entwurzelt, dachte sie an die New Yorker Zeit zurück und versuchte als eine Art Familienoberhaupt den Kontakt zu den in Freiheit lebenden Verwandten zu halten.

Auf verschlungenen Pfaden gelangte 2007, während unsere Geschichtswerkstatt über „Spuren jüdischen Lebens in Pasing und Obermenzing“ forschte, ein Brief an uns, den Trina Kuttner aus der Obermenzinger Villa an ihre Verwandten in Amerika geschrieben hatte. Empfänger des Briefs war, wie wir schließlich herausfanden, einer von Trinas Neffen und dessen Frau, denen noch im Mai 1940 die Flucht über Frankreich nach Amerika gelungen war.
In dem Brief werden viele Namen genannt; es sind alles Verwandte, die damals entweder in München oder in Amerika lebten und sich alle gegenseitig kannten. Von den zehn (!) im Brief erwähnten Münchnern überlebte keiner die Nazizeit.

Hier nun der Brief:

Ich verbringe hier einsame Tage und Nächte, auch Carrie (Kahn), wir kennen niemanden hier. 2mal in der Woche bin ich bei Berth u. Mina (Kahn), wo ich dort auch Martha (Wassermann) u. ihre Kinder treffe, das ist die einzige Abwechslung, die sich uns bietet.

Sonnabend war ich bei Kaufmanns um ihnen zur goldenen Hochzeit zu gratulieren. Frida (sie lebt in New York) hat ihnen geschrieben daß so viele Memmelsdorfer sich bei Bertha Kaufmann getroffen haben, darunter auch Du. Bei Deinem Aufenthalt in New York ist Dir gewiß die Zeit nicht lang geworden, denn da jagt eine Einladung die andere,

ich wäre auch gerne dabei das kannst Du mir glauben,
ich habe oft Sehnsucht nach der ganzen Verwandtschaft.
Wie es mir bestimmt ist, wird es auch werden.

Einmal war ich bei Deiner Schwester Stein um mich nach Euch zu erkundigen, aber sie hatte keine Nachricht noch Adresse. Sie versprach mir mich zu verständigen, sobald sie von Euch hört, aber nichts hörte (ich) von ihr.

Seid ihr auch öfters auf der Farm? Ihr wohnt doch in der Stadt, bewohnt ein kleines Häuschen allein.

Berthold (Kahn) arbeitet bei einem Gärtner, Fredi kommt in einigen Wochen aus der Schule u. wird dann Schlosserlehrling. Er ist groß geworden, ist auch ganz brav.
Daß Ruth Prager eine gute Partie machte freute mich, auch daß Martha (Prager) verlobt ist, bald wird auch Suse (Wassermann) drankommen. Pragers könnten mir doch auch mal schreiben.

Von Stern höre (ich) öfters, er hat sich um Eure Adresse schon bemüht, wollte Euch schreiben, er genießt noch sein Leben. Ich weiß nicht, ob ich ihm eine Adresse angab, ich gebe Euch die seine, dann könnt Ihr ihm ja mal schreiben! Siegfried Stern 319 Sycamore N Ave, Los Angeles, California.

Nun meine Lieben lebt wohl, denkt an uns - u. auch, wie Ihr uns helfen könnt, seid Alle herzlichst gegrüßt u. geküßt von Eurer alten Tante Trina.
Habt Ihr auch mal etwas von Nathan gehört?

So mit diesem Brief sind nun alle Goldmeier Briefe beantwortet. Schreibt bald, grüßt die Farmersleute Alle.


Trina Kuttner wohnte über zweieinhalb Jahre, von Ende Januar 1939 bis Oktober 1941, in der Obermenzinger Villa. Am 20.Oktober 1941 wurde sie von den Nazis gezwungen, aus dem Haus auszuziehen und zusammen mit Carrie Kahn, ihrer angeheirateten Nichte, die seit Dezember 1939 mit im Haus wohnte, in die „Judensiedlung“ in Berg am Laim zu ziehen. Schon einen Monat später wurde Carrie Kahn mit dem großen Münchner Judentransport, zusammen mit ihren Verwandten Berthold, Mina und Fredi Kahn, nach Kaunas deportiert und dort am 25.11.1941 erschossen.

Ein halbes Jahr später wurde Trina Kuttner am 25.6.1942 aus Berg am Laim nach Theresienstadt deportiert. Hier starb sie am 6.3.1943 im Alter von 82 Jahren.
Die Todesursache ist unbekannt.

Ich sprach vorhin über die „verschlungenen Pfade“, über die wir an den Brief von Trina Kuttner gelangten:

Siegbert, der Sohn von Carrie Kahn, Trinas Mitbewohnerin, der 1939 aus Unterfranken nach Palästina geflüchtet war, besuchte nach dem Krieg seine Verwandten in Amerika, die Empfänger des Briefes. Sie gaben ihm eine Kopie des Briefes mit. Frau Kappner, eine Lokal-Historikerin aus Unterfranken, die Siegbert ausfindig gemacht hatte, erhielt eine Kopie dieses Briefes, den sie an uns weiterreichte.

Wenigstens dieser Brief hat überlebt, wenn auch die Verfasserin des Briefes und ihre zehn Münchner Verwandten in Kaunas, Piaski und Theresienstadt umkamen.

Noch eine Randbemerkung:
Lange haben wir nach einem Foto von Trina Kuttner gesucht und vor kurzem vielleicht eine Lösung gefunden. Erich, der Sohn der 1939 emigrierten Hausbesitzer Simon und Martha Kahn, hatte mit seiner Leica viele Familienfotos gemacht. Die Leica vergrub er vor der Emigration im Garten der Villa, aber sein geliebtes Fotoalbum rettete der 15-Jährige nach New York. Das Album enthält eine Fotoserie einer Wanderung auf den Wallberg von Erich mit seinen Eltern und einer alten Frau, die er als „Oma“ bezeichnete, ca. 1935/36. Es handelt sich bei der weißhaarigen Frau mit Spazierstock wahrscheinlich um Trina, seine „Ersatz-Oma“. Denn die „echte“ Oma war bereits vor Erichs Geburt gestorben, der Memmelsdorfer „Opa“ 1935. Der Großvater Fantl aus Furth im Wald war 1931 gestorben, seine Frau, Erichs Großmutter mütterlicherseits, 1933 mit ihrer Familie in die Tschechoslowakei geflüchtet. Eine Einreise nach Deutschland war danach für sie nicht mehr möglich.


Almuth David
„Geschichtswerkstatt Jüdisches Leben im Münchner Westen



 

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