SZ vom 08.04.2008
Pasing: „Es war ein großes Puzzlespiel"
Bruchstücke zerstörter Existenzen
Nach dreijähriger Vorarbeit stellt die Geschichtswerkstatt jüdische Lebenswege im Münchner Westen vor
Von Andreas Flessa
Das Kaufhaus Bohn am Bahnhofsplatz ist den meisten Pasingern bekannt. Dass dieses Kaufhaus früher jedoch einmal Kaufhaus Neuburger hieß und dass Neuburger dort die Menschen immerhin fast drei Jahrzehnte lang mit den Dingen des täglichen Bedarfs versorgte, ist nur noch den wenigsten geläufig.
Möglicherweise wird sich das am 11. April ändern. Dann eröffnet die Geschichtswerkstatt ihre Ausstellung über "Jüdische Lebenswege im Münchner Westen" in der Pasinger Fabrik. Unter anderem erfahren dort die Besucher, dass das heutige Kaufhaus Bohn von dem jüdischen Kaufmann Emil Neuburger unter seinem Namen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnet und drei Jahrzehnte von ihm bis 1931 geführt wurde. Neuburger starb 1938, seine Frau emigrierte in die USA. Ihr Haus musste sie unter dem herrschenden Druck des nationalsozialistischen Regimes verkaufen.
Bis 1933 traten die Neuburgers als engagierte Personen des öffentlichen Lebens in Erscheinung: Er war SPD-Stadtrat in Pasing, sie die Vorsitzende des Frauenvereins des Roten Kreuzes. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschwanden beide völlig von der Bildfläche. Nicht einmal Neuburgers Tod wurde von der örtlichen Presse vermerkt.
Drei Jahre lang haben die Mitglieder der 2005 gegründeten Geschichtswerkstatt in diversen Archiven recherchiert und geforscht, um herauszufinden welche Spuren jüdische Menschen von 1880 bis 1970 im Münchner Westen, insbesondere in Pasing und Obermenzing, hinterlassen haben. Dabei legten die Forscher ihren Fokus eben nicht ausschließlich auf die Zeit von 1933 bis 1945. „Wir wollten die gesamten Lebenswege jüdischer Bürger nachzeichnen und sie nicht nur auf die Rolle von Opfern reduzieren" erklärt Bernhard Schoßig, Leiter der Geschichtswerkstatt.
Immerhin 200 Menschen jüdischer Abstammung haben sie ausfindig gemacht, ihre Lebenswerte verfolgt, mit den immer weniger werdenden Zeitzeugen oder ihren Nachfahren gesprochen und die Stadtteilgeschichte um eine interessante Facette ergänzt. "Unter ihnen sind Unternehmer und Fabrikanten, die viel zur Industrialisierung Pasings beigetragen haben, Wissenschaftler und Künstler, die die Forschung voranbrachten und das kulturelle Leben bereicherten, aber auch bescheidene Existenzen" berichtet Angela Scheibe-Jaeger.
Rund 12 000 Stunden haben die Mitglieder der Geschichtswerkstatt in Archiven verbracht, Akten gewälzt, Zeitungen ausgewertet, persönliche Kontakte geknüpft und mit Zeitzeugen korrespondiert. Ihre Suche führte sie unter anderem in das Münchner Stadtarchiv, das Bayerische Staatsarchiv, das Bayerische Wirtschafts- und das Pasinger Archiv.
Mehr als 12 000 Stunden haben Peter Pich (li.), Angela Scheibe-Jaeger und Bernhard Schoßig gemeinsam mit den anderen mitgliedern der Geschichtswerkstatt recherchiert, um die Lebenswege von rund 200 jüdischen Bürgern im Münchner Westen nachzuzeichnen. Foto: Andreas Flessa
„Als besonders wertvoll für unsere Arbeit haben sich die erst vor wenigen Jahren freigegebenen Akten des Finanzamtes erwiesen", stellt Schoßig fest. In ihnen sind die Zwangsenteignung von Vermögen und die Wiedergutmachungszahlungen dokumentiert. "Insgesamt war es ein großes Puzzlespiel, bei dem wir unzählige Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammensetzen mussten" beschreibt Schoßig die aufwendige Recherche der vergangenen Jahre.
Die Ergebnisse ihrer dreijährigen Bemühungen haben die Geschichtsforscher in eine großen Ausstellung zusammengefasst, die von Freitag, 11. April, bis Sonntag, 25. Mai in der Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, zu sehen sein wird. Auf 60 Text- und Fototafeln, angereichert mit zahlreichen Originaldokumenten und Leihgaben, zeichnen sie dort die Schicksale jüdischer Mitbürger nach und dokumentieren, wie diese am sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehen teilhatten.
Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm mit Exkursionen, Vorträgen und Gesprächen mit Zeitzeugen. Zusätzlich wird ein Buch herausgegeben, in dem die Arbeitsergebnisse detailliert zusammengefasst sind.
Um ihr zeit- und kostenintensives Engagement zu finanzieren ist die Geschichtswerkstatt auf Spenden angewiesen. Wer sie finanziell unterstützen möchte kann einen Beitrag auf das Konto des Instituts für zukunftsweisende Geschichte e.V. bei der Sparda-Bank München, Kontonummer 421 32 11, Bankleitzahl 700 90 500 unter dem Stichwort "Ins Lichtgerückt" überweisen.