SZ vom Mittwoch, 14. Mai 2008

Mit Hitler zu Tisch

„Spurensuche Jüdisches Leben“ in der Pasinger Fabrik

Eine Jüdin, die sich in einen Obersturmbannführer verliebt und unter falschem Namen als seine Frau das Dritte Reich überlebt - das klingt gefährlich nach einer der sattsam bekannten menschelnden Entschuldungsschmonzetten. Damit aber hatte die Aufführung „Ich liebe dich - eine deutsche Geschichte“ nichts gemein. „Spurensuche Jüdisches Leben“ nennt sich die Veranstaltungsreihe, in der das Stuttgarter Schauspiel Independent in der Pasinger Fabrik gastierte. In der stringenten Inszenierung des israelischen Regisseurs Yaron Goldstein gelang Berit Fromme, die den Stücktext gemeinsam mit ihm verfasst hatte, ein emotional nuancierter Monolog. Mit wenigen Requisiten verwandelte sie sich von einer verstörten alten Frau in die junge Ruth, die nicht glauben mochte, dass einer, der Schubert so innig liebt „ein böser Mensch“ sein kann. Einzig die melodramatischen Nachkriegspassagen, in denen sich das Paar vor Gericht gegenübersteht und der angeklagte Nazigatte durch ein geschlossenes Fenster in den Tod springt, waren so irritierend wie unnötig. Dass der Abend dennoch nicht ausrutschte, lag an seiner bilderarmen formalen Strenge und der Fokussierung auf die Figur Ruth Helsenrath.

Realen Schicksalen nähert sich noch bis zum 25. Mai die dokumentarische Ausstellung „Ins Licht gerückt - Jüdische Lebenswege im Münchner Westen“, die Einzel- und Familienbiographien nachzeichnet. Wie die des Opernsängers Berthold Stemeck oder des früheren Besitzers der Stein-Heinmannschen Schuhfabrik, die den Kern der Pasinger Fabrik- anlage bildete, und des zweiten Vorsitzenden des „Vereins für Züchter und Liebhaber von Rassehunden Pasing“ David Heymann, der 1941 mit seiner Familie nach Kaunas deportiert und ermordet wurde. Neben amtlichen Zeugnissen etwa zur „Arisierung“ jüdischen Eigentums finden sich in der Ausstellung und dem dazu erschienenen Begleitbuch kleine persönliche Dokumente, bei denen einem das Herz stockt, wie die Postkarte des Antiquars Ernst Rosenthal. „Rege dich ja nicht unnötig auf“, schreibt er aus dem KZ Dachau an seine Anneliese, „es geht mir wirklich sehr gut.“

Groteske Selbstinszenierung.

Einen radikalen Wechsel der Perspektive vollzieht das „Dokumentarschauspiel“ von Andreas Breiing und Carsten Krystofiak, in dem heute und morgen Adolf Hitler zu Tisch bittet. „Eine bewusste Zumutung“ nennt Andreas Breiing vom Kabarettensemble „Die Buschtrommel“ das Projekt, das die Zuschauer mit dem Führer an eine Tafel setzt. Die 2003 in Münster uraufgeführte Inszenierung „Tischgespräche“, die mit einer historischen Einführung beginnt, versteht sich, so Breiing, „als Gegenprogramm zur Geschichtsdarstellung eines Guido Knopp, die durch das propagandistische Bildmaterial ja immer den Mythos, das Faszinosum mittransportiert und darum auch bei Neonazis beliebt ist.“

Wenn ein Kabarettist sich ein Hitlerbärtchen anklebt, glaubt man zu wissen, was einen erwartet. Doch der studierte Historiker möchte nicht den gruselig-lächerlichen Brüllaffen vorführen. Was alles andere als einfach ist, da Hitler diesen realiter gerne gab und groteske Selbstinszenierung und Parodie kaum mehr zu trennen sind. Filmaufnahmen der Privatperson Hitler gibt es wenige. „Wir haben“, meint Breiing, „Berge von Material gesichtet. Wir haben Gesten bis zur völligen Erschöpfung geprobt, um die kabarettistischen Züge zurückzudrängen.“

Die endlosen, oft bis zum Morgengrauen andauernden Monologe Hitlers im Führerhauptquartier, die Martin Bormann mitstenografieren ließ, sind zu einer 45-minütigen Textcollage verkürzt. Darin schwadroniert Breiings Hitler über die „Judenfrage“ und biologisch angebautes Gemüse. Er erklärt in einer abstrusen Argumentation Christus zum Arier, fordert mit bis heute stammtischtauglichem Furor die Eliminierung von Sittlichkeitsverbrechern und klagt mit makaberer Empörung die Kirche an:

„Tausende wertvoller Menschen wurden verbrannt! Diese Brutalität war doch so etwas Entsetzliches.“

Im Gegensatz zu einer Lesung aber, so Breiing, erlaube das Projekt kaum schützende Distanz. „Keiner kann sich in die Anonymität des Zuschauerraums zurückziehen.“ Die Inszenierung solch vermeintlicher Nähe zur Person Hitler kann man nun durchaus mit Skepsis betrachten. Was für eine Zumutung diese „Tischgespräche“ sind, wurde ihm erstmals wirklich klar, als sich nach einer Aufführung eine Frau zu Wort meldete, die als einzige aus ihrer Familie den Holocaust überlebt hatte. „Dass sie diesen Abend, der für sie beinahe unerträglich war, dennoch für richtig und wichtig hielt“, so Breiing, „war für mich die denkbar größte Bestätigung.“

PETRA HALLMAYER


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