PASINGER ERINNERUNGSORTE

Historische Erinnerungsorte sichtbar machen – Anmerkungen zur Geschichtspolitik der Landeshauptstadt München

Aus der Rede von Bernhard Schossig zur Ausstellungseröffnung

Pasing, Jahrhunderte ein Dorf vor München, Jahrzehnte eine selbständige Stadt und inzwischen seit über achtzig Jahren ein Stadtteil Münchens, hat eine vielfältige Geschichte. Aber im Stadtbild findet man so gut wie keine Gedenktafeln, Stelen oder sonstige historische Erläuterungen. So kann der Eindruck entstehen, dass es in Pasing weder historische Ereignisse noch bedeutende Personen, weder bemerkenswerte Bauwerke noch sonstige erinnerungswürdige Aspekte gibt. Einheimischen Bewohnern und auswärtigen Besuchern bleiben Zugänge zu Besonderheiten des Ortes verschlossen und Fragen zur Bedeutung von Bauwerken unbeantwortet. Und schon gar nicht wird auf frühere historische Schichten des Ortes aufmerksam gemacht.
Diese Unsichtbarkeit hat einen Grund. Die Landeshauptstadt München hat im Jahr 2002 einen Grundsatzbeschluss zu Geschichte und Erinnern im öffentlichen Raum gefasst,  mit dem einer angeblich ausufernden Betafelung und einer ohnehin schon beträchtlichen ‚Möblierung‘ des öffentlichen Raumes – so die Terminologie der Stadtverwaltung – Einhalt geboten werden sollte. Anstelle von Gedenktafeln wurde seinerzeit ein Konzept von Kulturgeschichtspfaden vorgeschlagen und in den Folgejahren realisiert.  
Nach nunmehr zwanzig Jahren stellt sich die Frage, ob sich das Konzept der Kulturgeschichtspfade bewährt und ob sich damit die Anbringung von Gedenktafeln und Stelen mit historischen Erläuterungen, wie sie vielerorts üblich sind, erledigt hat. Die Antwort ist eindeutig. Zwar liegt mit den Kulturgeschichtspfaden inzwischen ein ausgezeichnetes gesamtstädtisches Kompendium vor, aber der Zweck, unmittelbar Informationen am jeweiligen Ort ohne großen Aufwand zu vermitteln, wird in keiner Weise erfüllt. Die kleinen Hinweisschilder sind leicht zu übersehen. Ihre Bedeutung erschließt sich nur indirekt durch einen QR-Code oder Nachschlagen im jeweiligen Geschichtspfad-Heft. Die Druckversionen haben – trotz relativ hoher Auflagen - ohnehin nur wenige zur Hand und die Nutzung digitaler Zugänge ist nur für digital Natives unproblematisch. Die spontane Neugierde, die sich aus der zufälligen Konfrontation mit Wort und Bild ergibt, kann so nicht entstehen. Jeder kennt die Situation zufälligen Erkenntnisgewinns aus Informationen, auf die man en passant stößt.
An dieser Stelle möchte ich eine Anregung in Richtung des neu eingerichteten Instituts für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur im Kulturreferat geben: die Idee eines Lexikons zur Stadtgeschichte, die wir in unserer Geschichtswerkstatt schon mal vor über dreißig Jahren diskutiert und auch an das Kulturreferat herangetragen hatten. Inzwischen bietet das Internet technische Möglichkeiten, wie man sie sich damals noch nicht vorstellen konnte. Das Historische Lexikon Bayern online und das Geschichtswiki Wien können als Anregungen dienen. Und mit den Kulturgeschichtspfaden liegt ein umfangreicher Materialfundus vor, der in ein derartiges Projekt eingearbeitet werden könnte. Aus meiner Sicht könnte hier ein Leuchtturmprojekt für die lokale Geschichtsarbeit entstehen.
Der Grundsatzbeschluss von 2002 ist in erster Linie gekennzeichnet durch das Interesse der Stadtverwaltung an einem möglichst problem- und reibungslosen Umgang mit Vorschlägen zum Gedenken und Erinnern im öffentlichen Raum. Er stellt vor allem auf ein einheitliches gesamtstädtisches Erscheinungsbild ab. Diese Einheitlichkeit negiert damit berechtigte Forderungen, unterschiedliche Stadtteilidentitäten sichtbar zu machen.  Gerade in Zeiten beschleunigten Wandels und geradezu dramatischer Veränderungen des Stadtbildes - besonders in Pasing - erscheint es angezeigt, dass das Bewusstsein für geschichtliche Entwicklungen nicht verloren geht. Im städtischen Alltag ermöglichen aber vor allem Tafeln und Stelen  einen unmittelbaren und unkomplizierten Zugang zur historischen Dimension. Die These von einer beträchtlichen Möblierung des öffentlichen Raumes mag aus der Perspektive des Stadtzentrums berechtigt sein, trifft aber kaum auf die  Peripherie und einzelne Stadtteile wie Pasing zu. Dort, wo das Wissen um die Vergangenheit die Identifikation mit dem Wohnort fördern könnte, sind Hinweise auf die Ortsgeschichte jedoch nur spärlich zu finden.
Die Diskussion der Frage, wie Geschichte im Stadtbild erscheinen kann, muss daher wieder aufgenommen werden. Dabei ist nicht nur die Sicht der Verwaltung zu berücksichtigen, sondern viel stärker die bürgerschaftliche Partizipation in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich ist auch anzumerken, dass die städtische Geschichtspolitik in München ambivalent und widersprüchlich ist. Neben einer Vielzahl fortschrittlicher Ansätze und gelungener Projekte gibt es nach wie vor die Tendenz, geschichtspolitische Fragen von allgemeinem Interesse in nichtöffentlichen Gremien wie dem Ältestenrat des Stadtrates zu entscheiden und die Entscheidungsgründe nicht mitzuteilen – eine Geheimpolitik, die zum Beispiel in Sachen Straßenbenennung der Nürnberger Stadtrat nicht praktiziert. Zukünftig sind mehr öffentliche Diskussionen und Bürgerbeteiligung bei geschichtspolitischen Themen und mehr stadtteilbezogene Differenzierungsmöglichkeiten – zum Beispiel Betafelung historischer Erinnerungsorte – wünschenswert. Mit der Ausstellung und dem vorliegenden Begleitband Pasinger Erinnerungsorte, die als Vorlage für eine Betafelung im Stadtteil gedacht sind, eröffnen wir die Debatte.


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